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Magersucht (Anorexie): Ursachen, Therapie, Folgen

Wie erkennt man eine Magersucht? Ab welchem BMI ist jemand magersüchtig? Kann eine langjährige Magersucht Folgen haben? Im folgenden Beitrag finden Sie alle relevanten Informationen zum Thema Magersucht (Anorexie).

Was ist eine Anorexie?

Die Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine Erkrankung des psychosomatischen Formenkreises im jungen Erwachsenenalter, die sich durch eine absichtlich und selbst herbeigeführte Gewichtsreduktion auszeichnet und in den meisten Fällen Mädchen bzw. junge Frauen betrifft.

Die Gründe für die Entstehung einer Anorexie sind bis heute nicht abschließend geklärt. In Betracht kommen genetische, neurobiologische, psychosoziale und gesellschaftliche Ursachen bzw. ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren.

Restriktiver und aktiver Typ

Eines der wichtigsten Merkmale der Anorexie ist die unbegründete Angst, zuzunehmen bzw. zu dick zu sein. Folglich geht die Erkrankung in den meisten Fällen mit Unter- und Mangelernährung unterschiedlichen Schweregrades einher, was wiederum zu einem hormonellen Ungleichgewicht bzw. zu Stoffwechselstörungen führen kann.

Unterschieden werden bei der Anorexie ein restriktiver Typ, bei dem eine Gewichtsreduktion vor allem durch eine fehlende Nahrungszufuhr erreicht wird, und ein aktiver Typ, bei dem Maßnahmen wie beispielsweise übertriebene körperliche Aktivität, Missbrauch von Abführmitteln oder selbstinduziertes Erbrechen zu einer Abnahme des Körpergewichts führen.

Untergewicht und seine Folgen

Um die Diagnose Anorexia nervosa stellen zu können, müssen laut ICD-10 vier Kriterien vorliegen. Dazu zählen zum einen der selbst herbeigeführte Gewichtsverlust, der in Untergewicht mündet, sowie eine verzerrte Wahrnehmung des Selbstbildes, bei der der Körper trotz teilweise massiver Unterernährung weiterhin als zu dick und unförmig wahrgenommen wird (Körperschemastörung).

Als Folge des Nahrungsentzugs kommt es, als viertes Kriterium, zu einer Veränderung des Hormonhaushalts, der sich besonders in einem Ausbleiben der Regelblutung sowie einem Libidoverlust zeigt. Daneben können weitere körperliche Symptome auftreten, auch psychiatrische Begleiterkrankungen wie Depressionen, Zwangs- und Angsterkrankungen können im Zuge der Magersucht als Komorbidität in Erscheinung treten.

Umfassendes Behandlungskonzept

Die Behandlung der Anorexia nervosa setzt sich in der Regel aus einem multimodalen Therapieprogramm bestehend aus Psychotherapie, Ergotherapie, Soziotherapie, Kunst- und Musiktherapie sowie ggf. zusätzlich der Gabe von Psychopharmaka zusammen und kann ambulant, teilstationär oder stationär erfolgen. Da sich eine Anorexie eines Familienmitgliedes auf das gesamte familiäre Umfeld auswirken kann, wird die Familie vielfach auch in das Behandlungskonzept miteinbezogen.

Rechtzeitig behandelt, kann die Erkrankung für den Körper folgenlos ausheilen. Eine einmal durchgemachte schwere Anorexie hinterlässt jedoch in den meisten Fällen für immer Spuren. So kann eine Beschäftigung mit dem Essen in der Regel nicht ganz abgelegt werden. Bestimmte Rituale bleiben Bestandteil des Lebens, lassen sich durch eine umfassende Therapie aber kontrollieren, sodass ein stabiles Gewicht aufrechterhalten werden kann und die Teilnahme an einem normalen Leben möglich ist.

Ursachen

Es gibt verschiedene Faktoren, die als Ursachen einer Magersucht diskutiert werden. Neben einer genetischen Prädisposition können vor allem neurobiologische, psychosoziale und gesellschaftliche Faktoren eine Rolle bei der Krankheitsentstehung haben. Auch ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren kann zur Entstehung der Erkrankung beitragen.

Genetische Faktoren

Zwillingsstudien konnten zeigen, dass es erblich bedingte Anlagen für eine Anorexie zu geben scheint. So tragen Verwandte ersten Grades von Menschen mit einer Magersucht ein deutlich höheres Risiko, die Erkrankung ebenfalls zu entwickeln. Bei zweieiigen Zwillingen konnte eine Konkordanz von 10%, bei eineiigen Zwillingen sogar von 50% nachgewiesen werden. Dabei scheinen verschiedene Gene bzw. deren Zusammenwirken für die Ausbildung der Erkrankung verantwortlich zu sein.

Neurobiologische Faktoren

Das hormonelle Gleichgewicht im Gehirn kann durch gewichtsreduzierende Maßnahmen wie Hungern oder Fasten beeinflusst werden und zunächst das Gefühl einer suchtähnlichen Befriedigung auslösen. Durch diese Störung des endogenen Belohnungssystems wird Hungern mit positiven Gefühlen verknüpft, während Nahrungszufuhr zu einer Dämpfung der Stimmung führt. Hungern wird somit belohnt, während die Nahrungszufuhr eine bestrafungsähnliche Wirkung hat. Entscheidende Botenstoffe, die an diesem komplexen Regelkreis beteiligt sind, sind Serotonin und Dopamin.

Psychosoziale Faktoren

Es gibt verschiedene psychosoziale Konzepte, die als Ursache der Anorexie diskutiert werden. Die Magersucht beginnt in den meisten Fällen während der Pubertät bzw. im frühen Erwachsenenalter. Diese Phase geht oftmals mit vielen Konflikten mit sich selbst sowie mit der Umwelt einher, sodass die Krankheit als Ausdruck eines wachsenden Überforderungserlebens angesehen werden kann.

Manche psychoanalytischen Konzepte gehen sogar so weit, die Entstehung der Anorexie als unbewussten Wunsch, Kind zu bleiben, zu werten. Diese Theorien stützen die These einer unbewussten Angst davor, den kindlichen Körper zu verlieren, sexuelle Wünsche zu entwickeln und sich von den Eltern abzunabeln. Die Nahrungsverweigerung wird in diesem Zusammenhang als der Versuch gewertet, diesen Prozess zu stoppen bzw. umzukehren.

Traumatische Erfahrungen und Konflikte

Aber auch Traumatisierungen spielen in psychosozialen Konzepten der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. So berichten viele Menschen mit einer Magersucht von traumatischen Kindheitserlebnissen oder negativen Erinnerungen an Erziehungsmethoden der Eltern.

Ebenso wird eine Störung der Konfliktverarbeitung als Ursache bei der Entstehung einer Magersucht diskutiert. Nach dieser These kann in der Kindheit und Pubertät die Nahrungsverweigerung als Machtinstrument gegenüber den Eltern eingesetzt werden. Bei Konflikten kommt es, so die Theorie, zu einer Verweigerung des Essens, was die Eltern zum Einlenken bewegt und das Kind so in seiner Verhaltensweise bestärkt.

Gesellschaftliche Faktoren

Immer wieder ist davon zu lesen, dass gesellschaftliche Schönheitsideale wie der "Model- oder Magerwahn" verantwortlich für die Entstehung einer Magersucht im Jugendalter seien. Nach dieser Theorie identifizieren sich junge Mädchen überdurchschnittlich stark mit Vorbildern aus Mode, Film oder Musik und entwickeln in dem Versuch, diesen Idealen zu entsprechen, die Erkrankung Anorexie.

Diese Theorie gilt jedoch als umstritten, da die Magersucht nicht ausschließlich eine Erkrankung des 20. und 21. Jahrhunderts darstellt, sondern schon zu viel früheren Zeiten bekannt war. Für diese Theorie wiederum spricht, dass die Magersucht in den Industrienationen deutlich häufiger auftritt als in Gegenden der Welt, in denen Lebensmittel nicht im Überfluss existieren und Selbstverwirklichung eine untergeordnete Rolle in der Berufswahl spielt.

Symptome

Nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) müssen alle vier der folgenden Symptome vorliegen, damit die Diagnose Magersucht gestellt werden kann:

  • 1. Untergewicht: Nach den Diagnosekriterien des ICD-10 gelten zwei Zustände als untergewichtig. Zum einen, wenn das Körpergewicht 15% oder mehr unter dem altersentsprechenden Gewicht des jeweiligen Geschlechtes liegt; zum anderen, wenn der Body-Mass-Index (BMI) unter einen Wert von 17,5 kg/m2 fällt.
  • 2. selbst herbeigeführte Gewichtsreduktion: Das Untergewicht muss dabei selbst herbeigeführt worden sein. Bei der asketischen Form der Anorexie wird dies ausschließlich durch eine verringerte Nahrungsaufnahme erreicht, während bei der bulimischen Form der Anorexie verschiedene Strategien eingesetzt werden, um eine Gewichtsabnahme zu erreichen. Dazu zählen unter anderem exzessive sportliche Betätigung, ein Missbrauch von Abführmitteln (Laxantien) oder Entwässerungstabletten (Diuretika), aber auch die Einnahme von Hormonen, die den Stoffwechsel ankurbeln, wie beispielsweise das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin.
  • 3. Körperschemastörung: Das selbst herbeigeführte Untergewicht ist wiederum gepaart mit einer Störung der Selbstwahrnehmung und des Selbstwertgefühls. Obwohl der Körper in vielen Fällen objektiv bereits ausgezehrt und mager erscheint, wird das Gewicht als zu hoch empfunden und der Körper als „fett und formlos“ wahrgenommen. Die Körperschemastörung ist ein wichtiges Symptom, um eine Anorexie von anderen Formen der Unter-, Fehl- oder Mangelernährung unterscheiden zu können, die beispielsweise auch im Rahmen von somatischen Erkrankungen wie einer Störung der Darmfunktion entstehen können.
  • 4. Störung des Hormonhaushalts: Als Folge der Unterernährung kommt es zu einer Beeinträchtigung des Hormonhaushalts. Besonders betroffen sind dabei die Sexualhormone LH und FSH, die vom Körper vermindert produziert und ausgeschüttet werden. Folge ist das Ausbleiben der Regelblutung (sekundäre Amenorrhö) sowie ein Verlust der Libido. Neben diesen vier Hauptsymptomen, die alle erfüllt sein müssen, damit die Diagnose einer Anorexie gestellt werden kann, sind weitere Symptome auf psychiatrischer sowie somatischer Ebene zu erwarten, die Folge oder Begleiterscheinung der Erkrankung sein können.

Psychiatrische Symptome

Die Magersucht geht in vielen Fällen mit einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur einher, die von großem Fleiß, Leistungsorientiertheit und Ehrgeiz geprägt ist. Daneben ist Ernährung ein zentrales Thema der Erkrankung.

Wenn sich alles ums Essen dreht

Die Beschäftigung mit Lebensmitteln, Kalorien- und Fettgehalt sowie Zubereitungsmöglichkeiten der einzelnen Nahrungsmittel kann die größte Zeit des Tages in Anspruch nehmen. Dabei werden gesunde und ungesunde bzw. erlaubte und verbotene Nahrungsmittel sehr unterschiedlich kategorisiert.

Während mache Betroffene schlicht keine Kohlenhydrate und Fette zu sich nehmen, teilen andere eine Portion in viele kleine, exakt gleich große Einheiten ein und essen bspw. nur 2/7 der gesamten Mahlzeit. Wieder andere kategorisieren Lebensmittel nach Farben und ordnen diese bestimmten Farbtagen zu. So dürfen an einem "roten Tag" beispielsweise nur rote Lebensmittel verzehrt werden, was in der Regel zu einer deutlichen Restriktion der Kalorienmenge führt.

Somatische Begleiterscheinungen

Somatische Begleiterscheinungen einer Anorexie sind die Antwort des Körpers auf die reduzierte Zufuhr an Nahrung. Er versucht dabei, den Energiebedarf weitgehend herunterzufahren, und stellt viele Organsysteme auf Sparflamme, um die Funktion lebensnotwendiger Organe zu erhalten.

Davon können in gewisser Weise alle Organsysteme betroffen sein:

  • Das Herz schlägt langsamer und weniger kräftig (Bradykardie), der Blutdruck wird verringert (Hypotonie), es kann zu Herzrhythmusstörungen kommen.
  • Der Magen-Darm-Trakt wird träger, versucht andererseits aber eine maximale Ausbeute aus der zugeführten Nahrung zu erzielen. Folge sind Verdauungsbeschwerden wie Verstopfung (Obstipation) und Bauchschmerzen.
  • Die Körpertemperatur wird abgesenkt (Hypothermie), Haut und Haare wirken trocken und glanzlos. Auch die Wundheilung kann beeinträchtigt sein. In schweren Fällen der Abmagerung kommt es zu einer flaumartigen Behaarung des gesamten Körpers (Lanugo-Behaarung), die vor dem Unterkühlen schützen und dem ständigen Kältegefühl vorbeugen soll.
  • Im Blut entstehen Mängel aller Blutreihen. Neben einer Verminderung der roten Blutkörperchen (Anämie) kommt es oftmals auch zu einer herabgesetzten Anzahl an weißen Blutkörperchen (Leukozytopenie) und Blutplättchen (Thrombozytopenie). Folge können eine verstärkte Infekt- und Blutungsneigung sowie ein starker Leistungsabfall sein.
  • Gedächtnis und Konzentration werden schlechter, in schweren Fällen kann ein Rückgang der Gehirnmasse beobachtet werden.

Nicht selten: bleibende Schäden

Eine Behandlung der Anorexie kann zu einer vollständigen Rückbildung der körperlichen Symptome führen. Nicht immer gelingt es dem Körper jedoch, den Status quo vor der Erkrankung wieder zu erreichen. Bleibende Störungen des Hormonhaushalts sowie Unfruchtbarkeit können die Folge einer langjährigen Magersucht sein.

Diagnose

Um die Diagnose einer Anorexie zu stellen, reichen in der Regel ein ausführliches ärztlich-psychiatrisches Gespräch und eine körperliche Untersuchung aus. Der Grad der körperlichen Beeinträchtigung kann anhand einer zusätzlich durchgeführten Blutentnahme abgeschätzt werden.

Anamnese

Wer unter einer Anorexie leidet, weiß, dass das erste Gespräch über die Erkrankung oftmals kein ärztliches ist. Denn ein typisches Merkmal der Magersucht ist, dass die Krankheitseinsicht zu Beginn in vielen Fällen vollkommen fehlt. Während das familiäre und soziale Umfeld vielfach bereits alarmiert ist und das Gespräch mit Ihnen sucht, fühlen Sie sich weiterhin vital und wohl in dem Zustand der stetigen Gewichtsreduktion. Da eine Thematisierung Ihres körperlichen Zustands in der Regel zu Streit führt, meiden es viele Bekannte und Verwandte fortan, Sie auf Ihr fallendes Gewicht anzusprechen.

Nicht unter den Teppich kehren

Doch gerade die anfänglichen Gespräche mit Angehörigen sind wichtig, um das Bewusstsein für die Erkrankung zu schärfen und die Krankheitseinsicht zu fördern. Wenn Sie Freunde oder Angehörige haben, bei denen der Verdacht einer Magersucht im Raum steht, zögern Sie also nicht, sie anzusprechen. Wählen Sie dafür am besten eine ruhige Situation, und suchen Sie das Gespräch unter vier Augen.

Auch wenn Ihre Bedenken auf scheinbar taube Ohren stoßen und das Gespräch nicht angenehm verläuft, so wird es doch einen ersten Anstoß leisten, um auf die Erkrankung aufmerksam zu machen und der betroffenen Person zu zeigen, dass Sie da sind.

Was der Arzt alles wissen muss

Ein ärztliches Gespräch findet in der Regel erst dann statt, wenn Sie dazu bereit sind. Denn der Arzt möchte sich ein möglichst genaues Bild über Ihre Essgewohnheiten machen. Dazu befragt er Sie selbst, gerne aber auch Angehörige oder Bezugspersonen. Denn eine Magersucht kann das familiäre Zusammenleben sehr stark beeinträchtigen und jede Mahlzeit zum Kampf werden lassen.

Typischerweise werden Sie dazu befragt, was und wie viel Sie aus Ihrer eigenen Sicht essen, wie sich der Gewichtsverlauf in der Vergangenheit bis heute entwickelt hat und welches Zielgewicht Sie anstreben. Daneben sind aber auch soziale, freizeitliche und familiäre Themen von Interesse. Beispiels möchte der Arzt von Ihnen erfahren, ob es Konflikte im familiären oder sozialen Umfeld gibt, ob Sie gerne in Gesellschaft essen, welche Hobbies Sie haben und ob Sie, wenn Sie eine Frau sind, Ihre monatliche Regelblutung noch haben.

Erfahrene Ärzte setzen zur Anamneseerhebung Fragebögen und strukturierte Interviews ein, um die Symptome genauer zu erfassen und später zu einem Bild zusammenführen zu können. Weiterhin können so erste Anzeichen häufiger Begleiterkrankungen der Anorexie wie Depressionen, Zwangs- oder Angsterkrankungen frühzeitig erkannt werden.

Körperliche Untersuchung

Wichtigster Bestandteil der körperlichen Untersuchung ist die Erhebung von Größe und Gewicht, da sich hieraus der BMI errechnen lässt. Dieser kann dann mit der Perzentilkurve des zu erwartenden Gewichte des entsprechenden Alters abgeglichen werden.

Lässt sich anhand des BMI bereits ein deutliches Untergewicht erkennen, muss der behandelnde Arzt eine körperliche Ursache ausschließen. Hierzu sind in der Regel weitere Untersuchungen wie eine Blutentnahme sowie beispielsweise eine Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse sowie des Bauches notwendig.

Typische Veränderungen im Blut

Während bei einer Schilddrüsenüberfunktion, die ebenfalls zu einem geringen Körpergewicht führen kann, in der Regel ausschließlich die Schilddrüsenparameter im Blut verändert sind, können sich bei einer weit fortgeschrittenen Anorexie typischerweise folgende Veränderungen der Blutwerte ergeben:

  • Blutbild: Abfall der roten (Erythrozyten) und weißen Blutkörperchen (Leukozyten) sowie der Blutplättchen (Thrombozyten). Sind alle drei Zellreihen betroffen, wird von einer Panzytopenie gesprochen.
  • Elektrolyte: Abfall von Natrium, Kalium und Chlorid
  • Blutzucker: Abfall des Blutzuckers in den unteren Normbereich
  • Leber: Anstieg der Leberenzyme AST und ALT
  • Nierenwerte: Abfall des Kreatinins aufgrund der stark verringerten Muskelmasse
  • Blutfette: Anstieg von Cholesterin. Die Ursache für den erhöhten Cholesterinanteil im Blut ist bisher noch nicht geklärt.
  • Eiweiße: Reduktion von Eiweißen (Proteinen) und Albumin im Blut. Folge können Ödeme sein.

Differentialdiagnosen

Essstörungen, die von einer Magersucht abgegrenzt werden müssen, sind die Bulimia nervosa sowie die Binge-Eating-Störung. Typisch für jede Essstörung ist, dass sie aus einer anderen hervorgehen oder in diese übergehen kann. Eine genaue Beobachtung der Symptomatik ist wichtig, um bei einem Erkrankungswechsel entsprechend reagieren und weitere bzw. andere therapeutische Maßnahmen ergreifen zu können.

1. Bulimie (Bulimia nervosa)

Die Bulimie betrifft in 90% der Fälle junge Frauen. Der Altersgipfel der Erkrankung liegt bei 20 bis 24 Jahren und damit etwas höher als der der Anorexie.

Nach ICD-10-Kriterien müssen, ähnlich wie bei der Anorexia nervosa, vier Symptome erfüllt sein, damit die Diagnose einer Bulimie gestellt werden kann:

  • 1. Mindestens zweimal pro Woche kommt es über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten hinweg zu Essanfällen, bei denen bis zu mehreren tausend Kalorien in kürzester Zeit verschlungen werden.
  • 2. Vor einem Essanfall besteht ein durchgehendes, zwanghaftes Verlangen nach Nahrungsmitteln, das durch die Aufnahme normaler Portionsgrößen nicht gestillt werden kann.
  • 3. Im Anschluss an einen Essanfall wird einer Gewichtszunahme entgegengewirkt. Am häufigsten geschieht dies durch selbstinduziertes Erbrechen. Aber auch der missbräuchliche Einsatz von Abführmitteln sowie Phasen der Nahrungsverweigerung, exzessiver Sport oder der Missbrauch von Schilddrüsenmedikamenten können zum Einsatz kommen.
  • 4. Wie bei der Anorexie besteht auch im Rahmen der Bulimie ein gestörtes Selbstbild, bei dem das verzerrte Gefühl, zu dick zu sein, im Vordergrund steht.

Normal bis leicht übergewichtig

Weiterhin fällt das Gewicht bei einer Bulimia nervosa per Definition nicht unter einen BMI von 17,5 kg/m2, sondern liegt in aller Regel darüber. Da sich die Essanfälle oftmals über eine Stunde oder mehr hinziehen, werden vom Körper bereits Nährstoffe aufgenommen und verwertet, sodass in den meisten Fällen Normal- bis leichtes Übergewicht vorliegt.

Besonders das wiederholte Erbrechen kann weitreichende Folgen für den Körper haben. Durch die Magensäure, die während des Erbrechens Speiseröhre und Mundraum retrograd passiert, kann es zu entzündlichen Prozessen des Magens (Gastritis) und der Speiseröhre (Ösophagitis) sowie zur Kariesentwicklung an den Zähnen kommen.

Drohende Mangelerscheinungen

Des Weiteren gehen dem Körper durch das Erbrechen wichtige Elektrolyte und Nährstoffe verloren, sodass es im schlimmsten Falle zu bedrohlichen Veränderungen des Elektrolythaushalts und in Folge dessen zu Herzrhythmusstörungen kommen kann. Da das Auslösen des Brechreizes meist manuell erfolgt, können Schwielen an den Fingergelenken des Handrückens entstehen.

Die Bulimie wird, ähnlich der Anorexie, oftmals von weiteren psychischen Erkrankungen begleitet. Besonders häufig sind Depressionen, Panik- und Angststörungen mit der Erkrankung assoziiert. Aber auch Abhängigkeitserkrankungen wie Alkohol- oder Drogensucht können gemeinsam mit einer Bulimie auftreten.

2. Binge-Eating-Störung

Ebenfalls zum Formenkreis der Essstörungen zählend und eher eine Differentialdiagnose zur Bulimie als zur Anorexie ist die Binge-Eating-Störung. Dabei kommt es zu unkontrollierten Essanfällen, die ohne Maßnahmen der Gegenregulation ablaufen und somit zu einer starken Gewichtszunahme führen. Typisch ist der Kontrollverlust während des Essens, der zu einer ungehemmten Nahrungsaufnahme führt und nicht von Maßnahmen begleitet wird, die einer Gewichtszunahme entgegenwirken sollen.

Anders als bei der Anorexie ist der Zustand nicht akut lebensbedrohlich, geht jedoch mit einem enormen Leidensdruck einher und ist aus diesem Grund ebenfalls immer behandlungsbedürftig.

Behandlung

Die Behandlung der Magersucht fußt auf verschiedenen Säulen, die individuell ausgesucht bzw. zusammengestellt werden müssen. In der Regel ist eine enge Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen, Psycho- und Ergotherapeuten, Sozialarbeitern und Musik- und Kunsttherapeuten sowie Ernährungsberatern wichtig, um die Erkrankung durch ein multimodales Therapiekonzept auf unterschiedlichen Ebenen zu behandeln.

Manchmal geht es nur in der Klinik

Die Therapie der Anorexie kann dabei auf drei Arten erfolgen:

  • ambulant bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten oder Psychologen
  • teilstationär im Rahmen eines tagesklinischen Aufenthaltes
  • stationär während eines meist längerfristigen Aufenthaltes in einer Klinik

Besonders bei sehr starker Abmagerung (das Körpergewicht liegt unter 75% des Normalgewichts) oder Komorbiditäten wie Depressionen, Zwangs- oder Angststörungen wird die Magersucht in der Regel zunächst stationär behandelt.

1. Ernährungstherapie

Die primäre Therapie der Anorexie ist die Anhebung des Gewichts auf einen akzeptablen Bereich. Dieser Schritt gestaltet sich oftmals aber als sehr schwierig, da in vielen Fällen keine Krankheitseinsicht besteht und eine Erhöhung der Nahrungszufuhr Angst und Panik auslösen kann.

Strikte vertragliche Regelung

Aus diesem Grund werden in den meisten Fällen "Behandlungsverträge" geschlossen, bei denen gemeinsam festgelegt wird, in welcher Zeit das Gewicht um wie viel gesteigert werden soll, welche Kalorienmenge und wie viele Mahlzeiten dafür notwendig sind. Ein Behandlungsplan kann beispielsweise drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten pro Tag mit einer wöchentlichen Gewichtszunahme von 500 bis 1000 g vorsehen.

Die Ernährungstherapie zielt darauf auf, wieder ein normales Essverhalten zu erlernen, auf den eigenen Körper zu hören und wieder Spaß am Essen zu finden. Gewichtskontrollen, Bewegungsprotokolle und -einschränkungen gehören ebenso dazu wie Rückschläge und Fortschritte. Erst wenn der Körper wieder einigermaßen zu Kräften gekommen ist, können parallel weitere Problembereiche besprochen werden.

Zwangsernährung nur schweren Fällen

In Fällen sehr starker Unterernährung muss ggf. eine Magensonde zur Zwangsernährung eingesetzt werden. Maßnahmen wie diese werden nur als allerletztes Mittel eingesetzt und müssen rechtlich gut abgewogen und begründet werden. Denn einerseits wird durch eine Ernährung gegen den eigenen Willen massiv in das Selbstbestimmungsrecht eingegriffen; andererseits kann ein Unterlassen der Zwangsernährung in sehr schweren Fällen zum Tode führen und, gerade im stationären Rahmen, als unterlassene Hilfeleistung angesehen werden.

2. Psychotherapie

Inhalt und Ziel der Psychotherapie, die zentraler Bestandteil der Behandlung jeder Essstörung ist, ist es, Problembereiche der Erkrankung, ihrer Entstehung sowie Maßnahmen zur Überwindung herauszuarbeiten und umzusetzen. Dabei kommen verschiedene Konzepte zum Einsatz.

Es geht nicht nur ums Essen

Zum einen werden Faktoren thematisiert, die als mögliche Auslöser der Magersucht in Betracht kommen. Weiterhin wird genau besprochen, welche Wirkung das Nicht-Essen auf Körper und Geist hat, in welchen Situationen es besonders in Erscheinung tritt und welche Strategien zur Verhaltensänderung angewendet werden können.

Der Fokus der Psychotherapie liegt aber nicht ausschließlich auf dem Bereich Essen- bzw. der Nahrungsverweigerung. Auch andere Themen wie Familie, Freundschaften, Schule, Universität oder Ausbildung werden thematisiert.

Schnell und effektiv: Verhaltenstherapie

Es gibt verschiedene psychotherapeutische Verfahren, die zur Behandlung einer Essstörung eingesetzt werden können. In den meisten Fällen wird jedoch mit der Verhaltenstherapie (VT) gearbeitet, bei der Denk- und Handlungsmuster der Essstörung aufgedeckt und durch gezielte Gespräche und Übungen umgewandelt werden. Das Ziel der VT ist es, dass Sie selbst frühzeitig erkennen, wann Sie in alte, krankhafte Handlungsmuster zurückfallen und diese verändern können.

Ein entscheidender Vorteil der Verhaltenstherapie ist, dass sie relativ schnell zu Erfolgen führt, während tiefenpsychologische Verfahren eher langwierig sind und besonders bei Essstörungen keine besseren Ergebnisse erzielen.

3. Musik-, Kunst- und Ergotherapie

Begleitende therapeutische Ansätze wie Ergo-, Musik- oder Kunsttherapie helfen dabei, den Fokus des Denkens vom Essen weg hin zu anderen Themen zu lenken und Erfolgserlebnisse in anderen Gebieten zu erzielen. In ruhiger Atmosphäre bieten diese Therapieformen darüber hinaus Raum für Austausch mit Therapeuten und andere Betroffenen sowie für Entspannung.

Welche Therapieform für Sie dabei die geeignete ist, können Sie während eines stationären oder teilstationären Aufenthalts schnell für sich selbst herausfinden. Im ambulanten Rahmen gibt es kaum Möglichkeiten für therapeutische Ansätze, die über die Psychotherapie hinausgehen.

4. Medikamentöse Therapie

Psychopharmaka spielen bei der Therapie der Magersucht sowie bei anderen Essstörungen normalerweise keine Rolle. Treten zusätzlich zu der Essstörung jedoch Depressionen oder Angsterkrankungen auf, können Antidepressiva kurzzeitigen Einsatz finden, bis die Nahrungsaufnahme wieder leichter wird. Vielfach gehen Begleiterkrankungen wie Depressionen auf das starke Untergewicht zurück und bessern sich, sobald das Gewicht in einen akzeptablen Bereich angehoben wurde.

Vorteil einiger Antidepressiva ist, dass sie den Appetit anregen und teilweise auch schlafanstoßende Wirkung haben, sodass sie ebenfalls einen Beitrag zur Rückerlangung der normalen Tagesstruktur leisten können.

Komplikationen

Insbesondere die Magersucht kann als Folge der Unterernährung teils sehr schwerwiegende Komplikationen haben:

  • In der akuten Krankheitsphase sind schwere Depressionen, die unter Umständen von drängenden Suizidgedanken begleitet werden, keine Seltenheit.
  • Durch die langfristige Mangelernährung bzw. durch einen missbräuchlichen Einsatz von Diuretika und Abführmitteln kann es zu einem Ungleichgewicht des Elektrolythaushaltes und in Folge dessen zu teils gravierenden Herzrhythmusstörungen kommen.
  • Als Folge einer langjährigen Unterernährung können weiterhin hormonelle Störungen auch nach Überwinden der Erkrankung zurückbleiben. Insbesondere kommen Schilddrüsenunterfunktionen, Zyklusstörungen bis hin zur Unfruchtbarkeit sowie Diabetes mellitus vor.

Prognose

Die Prognose der Anorexie ist vergleichsweise schlecht. Jede 5. bis 20. Erkrankung endet tödlich. In der Regel tritt der Tod als Folge der massiven Unterernährung oder in Form von Suizid auf. Dabei ist eine gute Prognose vor allem anhängig von folgenden Faktoren:

  • kurze Krankheitsdauer
  • nur leichtes Untergewicht bei Therapiebeginn
  • jüngeres Alter bei Erkrankungsbeginn
  • Fehlen von Begleiterkrankungen
  • starker familiärer und sozialer Rückhalt

Quellen:

  • S. Leucht, H. Förstl: Kurzlehrbuch Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme Verlag, 2012.
  • B. Bandelow: Kurzlehrbuch Psychiatire, Springer Medizin Verlag, 2012.
  • S3-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Essstörungen, online unter www.awmf.org (zuletzt aufgerufen am 26.09.2019).

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