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Multiple Sklerose: Symptome, Verlauf, Therapie

Die multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die zu einem chronisch-entzündlichen Prozess in Gehirn und Rückenmark führt und sich typischerweise im Alter von 20-40 Jahren manifestiert. Da sich die Erkrankung interindividuell auf sehr unterschiedliche Art und Weise bemerkbar macht und nicht immer gleich verläuft, wird sie auch als die "Krankheit mit den 1000 Gesichtern" bezeichnet. Weitere Synonyme sind Encephalomyelitis disseminata und Polysklerose. Lesen Sie im folgenden Beitrag mehr dazu.

Die Ursachen der multiplen Sklerose sind bisher nicht bekannt. Im Rahmen der Erkrankung kommt es jedoch zu einer Zerstörung der Myelinscheiden von Nervenfasern in Groß- und Kleinhirn sowie im Rückenmark, was zu vielfältigen Beschwerden führen kann.

Typisch für die MS sind:

  • Sehstörungen
  • Lähmungserscheinungen
  • Gefühlsstörungen

Aufwendige Diagnostik

Die Diagnose multiple Sklerose wird durch die Zusammenschau mehrerer typischer Befunde gestellt. Hat Ihr behandelnder Arzt den Verdacht, dass bei Ihnen eine MS vorliegt, führt er zunächst spezifische neurologische Tests wie beispielsweise Reflexprüfungen durch. Die Diagnose wird durch eine Hirnwasseruntersuchung, die Untersuchung der Hirnströme im EEG sowie anhand einer Bildgebung des Gehirns mittels MRT bestätigt.

Je nach Verlauf der Erkrankung wird die multiple Sklerose klassifiziert. Unterschieden werden dabei die drei Formen:

(Noch) nicht heilbar

Obwohl die multiple Sklerose heutzutage noch nicht heilbar ist, gibt es doch eine ganze Reihe an Medikamenten, welche die Symptome lindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen können. Eine medikamentöse Therapie sollte aus diesen Gründen immer frühzeitig begonnen werden.

Begleitend können Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie und Psychotherapie eingesetzt werden, da sich diese Therapieformen nachweislich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken und das Leben mit der MS erleichtern können.

Definition

Der Körper greift sich selbst an

Bei der multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die zu einem chronischen Entzündungsprozess an Nervenzellen des Gehirns und des Rückenmarks führt. Typisch für Autoimmunerkrankungen ist, dass sich das körpereigene Abwehrsystem gegen bestimmte Teile des Körpers richtet, diese angreift und zerstört. Das geschieht auch im Rahmen einer MS, bei der es zu einer allmählichen Zerstörung der Myelinscheiden der Nervenfasern kommt.

Myelinscheiden, auch Markscheiden genannt, sind Ausläufer von bestimmten Zellen (Oligodendrozyten), deren Aufgabe es ist, die Nervenzellen zu umhüllen und so zu isolieren. Allerdings wird eine Nervenfaser nicht durchgehend von einer Myelinscheide bedeckt, sondern ist von kleinen Einschnürungen (sogenannten Schnürringen) unterbrochen. Dies ist für die Weiterheilung von Informationen sehr wichtig, die in Form elektrischer Erregung von Schnürring zu Schnürring springen und die Nervenfaser so schnell durchlaufen können.

Schlechte Leitung

Im Rahmen der multiplen Sklerose werden diese Isolierungen immer weiter abgebaut und durch Narbengewebe (graue Skleroseherde) ersetzt. Dadurch können Informationen entlang der Nervenzellen nur noch langsam weitergeleitet werden, was sich durch die klassischen Symptome der Erkrankung bemerkbar macht. Besonders betroffen sind die Nerven des Hirnstamms, des Kleinhirns, bestimmte Teile des Rückenmarks sowie die Sehnerven.

Derzeit leiden etwa 120000 Menschen in Deutschland an einer multiplen Sklerose. Vor allem junge Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren sind dabei betroffen. Interessant ist, dass die MS eine auffallende geographische Verteilung aufweist: Je weiter der Abstand zum Äquator, desto häufiger tritt die Erkrankung auf.

Ursachen

Die Ursachen für die Entstehung einer multiplen Sklerose sind bisher nicht bekannt. Vermutet werden genetische Faktoren sowie bestimmte Infektionen, die die Entstehung des Autoimmunprozesses begünstigen. Demgegenüber stehen Risikofaktoren, die einen MS-Schub begünstigen können.

Genetische Faktoren

Wer Verwandte ersten Grades (Geschwister, Eltern, Kinder) hat, die an einer multiplen Sklerose leiden, hat im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung ein 10-30fach erhöhtes Risiko, ebenfalls eine MS zu entwickeln, was einem Erkrankungsrisiko von 3-4% entspricht. Aber auch die ethnische Zugehörigkeit scheint eine Rolle zu spielen. So konnte in den USA ein reduziertes Erkrankungsrisiko in der Gruppe der Hispaniens sowie unter den Afroamerikanern beobachtet werden.

Infektionen: schlummernde Gefahr

Wie und welche Infektionen bei der Entstehung der MS eine Rolle spielen, wird derzeit noch vielfach diskutiert. Verantwortlich könnten Erreger sein, die nach einer Infektion ein Leben lang im Körper verweilen und immer wieder zu aufflammenden Entzündungen führen können. Es wird vermutet, dass es im Zuge dessen zu einer Ausbildung von Antikörpern gegen die Myelinscheiden der Nervenzellen und damit zur Entstehung des Autoimmunprozesses bzw. zur MS kommt.

Risikofaktoren bei jedem anders

Bestimmte Lebenssituationen können die Entstehung eines neuerlichen MS-Schubes begünstigen. Diese Risikofaktoren stehen im Verdacht, das Immunsystem zu aktivieren und damit dem Autoimmunprozess Vorschub zu leisen.

Typische Risikofaktoren sind:

  • seelische Belastungssituationen wie Trennungen oder Tod eines nahen Angehörigen
  • körperliche Stresssituationen wie Unfälle oder größere Operationen
  • Veränderungen des Hormonhaushaltes wie der Eintritt in die Pubertät
  • Virusinfektionen (beispielsweise mit Herpesviren oder Influenza)
  • aktive Impfungen
  • Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen (beispielsweise Sonnenhut)

Die Risikofaktoren nehmen individuell einen sehr verschieden starken Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Sie frühzeitig erkennen, wie Sie sich vor negativen Einflussfaktoren schützen können und welche Risikofaktoren für Sie die gefährlichsten sind.

Symptome

Da sich die MS an vielen unterschiedlichen Stellen des Gehirns abspielen kann, können die Symptome der Erkrankung interindividuell sehr unterschiedlich ausfallen. Es gibt kein bestimmtes Anzeichen, das den Beginn der Erkrankung markiert oder typisch ist für einen bestimmten Verlauf. Die Vielfalt an möglichen Beschwerden hat der multiplen Sklerose auch zu ihrem Beinamen "Krankheit der 1000 Gesichter" verholfen.

Frühsymptome: Beginn meist mit Sehstörungen

Symptome, die bereits in der frühen Phase der Erkrankung auftreten können, sind vor allem:

  • Sehstörungen
  • Gefühlsstörungen
  • Lähmungserscheinungen

Sehstörungen treten als Frühsymptom bei etwa ¾ aller Menschen mit MS auf und sind in den meisten Fällen zunächst nur einseitig auszumachen. Ursache ist eine Entzündung der Nervenscheiden des Sehnervs (sogenannte Optikusneuritis), die zu Sehstörungen und schmerzhaften Augenbewegungen führt.

Typisch für die Optikusneuritis ist, dass alles plötzlich wie durch einen Schleier oder durch dichten Nebel wahrgenommen wird. Je nach dem, wie schwer die Entzündung ausfällt, kann auch das Farbsehen beeinträchtigt sein. In vielen Fällen äußert sich die Entzündung durch das Auftreten von Lichtblitzen oder Gesichtsfeldausfällen. Sind auch die Augenmuskeln von der Entzündung mitbetroffen, kann die Augenbewegung eingeschränkt sein, was zur Entstehung von Doppelbildern führt. In den meisten Fällen bildet sich die Symptomatik innerhalb weniger Wochen bis Monate vollständig zurück.

Taubheit an Armen und Beinen

Auch Gefühls- bzw. Empfindungsstörungen haben sehr vielseitige Ausprägungen. Typisch für eine MS sind nicht nur Kribbeln und Taubheitsgefühle an Armen und Beinen, sondern auch Engegefühle an Gelenken und um die Hüfte sowie Schmerzen oder Veränderungen der Temperaturwahrnehmung. Oftmals beginnen die Beschwerden dabei an den Finger- oder Fußspitzen und breiten sich nach und nach auf Arme und Beine aus.

Charakteristisch für den Beginn einer MS ist auch das sogenannte Lhermitt’sche Zeichen (auch positives Nackenbeugungszeichen). Dabei kommt es beim Vornüberbeugen des Kopfes zu elektrisierenden Missempfindungen, die entlang der Wirbelsäule von oben nach unten absteigen.

Lähmungserscheinungen treten zu Beginn der Erkrankung eher unspezifisch auf und führen zu einer schnellen Ermüdbarkeit der Muskulatur. Hin und wieder kann es auch zu spastischen Anspannungen sowie zu einer ungewohnten Muskelsteifigkeit kommen. Die Muskelschwäche verstärkt sich charakteristischerweise durch Fieber, Hitze oder körperliche Anstrengung (sogenanntes Uthoff-Phänomen).

Spätsymptome: Bewegung, Gleichgewicht und Sprache

Spätsymptome treten meist dann auf, wenn schon eine große Anzahl an Nervenzellen bzw. Myelinscheiden durch den Entzündungsprozess zerstört wurde. Ähnlich wie bei den Frühsymptomen ist auch hier das Erscheinungsbild der Erkrankung sehr heterogen. Im Verlauf der Erkrankung kommt es vor allem zu Beeinträchtigungen der Willkürmotorik, des Kleinhirns und des vegetativen Nervensystems.

Durch den Befall von bestimmten Teilen des Rückenmarks kann es zum Ausfall der Willkürmotorik kommen. Sie äußert sich durch die Unfähigkeit, bestimmte Bewegungen gezielt und willentlich auszuführen. Dies ist besonders psychisch sehr belastend, da fremde Hilfe nötig und die Lebensqualität stark beeinträchtigt wird. Sind einzelne Hirnnerven von dem Entzündungsprozess betroffen, kann es zu Gesichtslähmungen, aber auch zu Gleichgewichts- und Geschmacksstörungen kommen.

Eine Beeinträchtigung des Kleinhirns durch die MS ruft klassischerweise die Trias Sprachstörungen, Gangunsicherheit und Tremor hervor. Besonders die Sprachstörungen sind sehr belastend, da die Sprache zunehmend undeutlich und abgehackt klingt. Einzelne Silben platzen unkoordiniert hervor und werden wahllos, aber auf charakteristische Art und Weise betont. Das Zittern der Hände (Tremor) tritt typischerweise bei Zielbewegungen auf und verstärkt sich mit zunehmender Nähe zum Ziel (sogenannter Ziel- oder Intentionstremor).

Probleme beim Sex

Eine Beeinträchtigung des vegetativen Nervensystems äußert sich vor allen Dingen in Störungen von Blase und Mastdarm wie beispielsweise Harn- und Stuhlinkontinenz, aber auch Harnverhalt. Weiterhin können sich Störungen der Sexualfunktion bemerkbar machen:

  • beim Mann typischerweise in Form von Erektionsstörungen
  • bei der Frau in Form von Libidoverlust sowie in einer verminderten Sensibilität im Genitalbereich

Im Rahmen der MS kann es weiterhin zu psychischen Beeinträchtigungen kommen. Ob diese durch die MS selbst entstehen oder Folge der Erkrankung sind, ist noch unklar. Typisch sind Stimmungsschwankungen und depressive Phasen, die sich in Form von Traurigkeit, Schlafstörungen und Antriebsarmut bemerkbar machen.

Auch Defizite der Gedächtnis- und Konzentrationsleistung bis hin zur Demenz können auftreten. Mitunter kommt es aber auch zu einer grundlosen Euphorie, die der Krankheitssituation nicht angemessen ist und sich vor allem in Kombination mit Kleinhirnstörungen zeigt.

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Verlaufsformen

Die multiple Sklerose ist in der Regel eine schubförmig verlaufende Erkrankung. Je nach Erscheinungsbild wird dabei unterschieden in schubförmig remittierende MS (RR-MS), sekundär progrediente MS (SP-MS) und primär progrediente MS (PP-MS).

Ein Schub bezeichnet das Auftreten neuer Beschwerden oder eine deutliche Verschlechterung bereits bestehender Beschwerden, die mindestens 24 Stunden andauern oder sich im Verlauf noch weiter verstärken. Definitionsgemäß müssen zwischen zwei einzelnen Schüben mehr als 30 Tage liegen. Treten zwei "Schübe" innerhalb von 30 Tagen auf, so wird dies als einzelner Schub gewertet.

Schubförmig remittierende MS (RR-MS)

Die schubförmig remittierende MS zeichnet sich durch das Auftreten einzelner Schübe aus, die sich mehr oder weniger vollständig zurückbilden. Mit 80% ist die RR-MS die häufigste Form bei Erstdiagnose, allerdings gehen etwa die Hälfte der Fälle im Verlauf in eine sekundär progrediente MS über.

Sekundär progrediente MS (SP-MS)

Die sekundär progrediente MS ist ebenfalls durch einen schubförmigen Verlauf charakterisiert. Allerdings bilden sich die Symptome zwischen den Schüben nicht mehr vollständig zurück, sodass die Erkrankung insgesamt progredient fortschreitet. Definitionsgemäß entsteht die SP-MS aus der RR-MS.

Primär progrediente MS (PP-MS)

Die eher seltene primär progrediente MS (20% aller MS-Formen) verläuft gänzlich ohne Schübe, schreitet jedoch stetig voran. Sie ist mit einer schlechteren Prognose assoziiert und spricht weniger gut auf Medikamente an.

Diagnose

Liegen MS-typische Symptome vor, ist der Gang zum Arzt unumgänglich. Dieser erfragt in einem ersten Gespräch (Anamnese) den gesamten Beschwerdekomplex und erkundigt sich auch nach Verwandten ersten Grades, die möglicherweise ebenfalls an MS leiden. Im Anschluss folgt eine vollständige neurologische Untersuchung, bei der unter anderem die Funktion der Hirnnerven, Reflexe, Muskelkraft und Sensibilität überprüft werden.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung der beiden Hirnnerven Nervus Facialis und Nervus Trigeminus, die zum einen für die mimische Muskulatur (N. Facialis) und zum anderen für die Empfindungen des Gesichtes (N. Trigeminus) verantwortlich sind. Die Funktionen dieser beiden Nerven sind bei einer MS besonders häufig eingeschränkt.

Erloschene Reflexe

Ein typischer Befund für die MS ist außerdem ein erloschener Bauchhautreflex. Zur Testung dieses Reflexes bittet der Arzt Sie, sich hinzulegen und den Bauch frei zu machen. Mit einem Mundspatel oder ähnlichem streicht er anschließend unterhalb des Rippenbogens, auf Nabelhöhe oder oberhalb der Leistenregion leicht über die Bauchhaut. Normalerweise kommt es zu einer reflektorischen Anspannung der Bauchmuskulatur, nicht jedoch im Rahmen einer MS. Dort ist der Bauchhautreflex erloschen.

Die Sensibilität wird vor allem über das Lhermitt’sche Zeichen geprüft. Aber auch Vibrations-, Temperatur- und Berührungsmessungen müssen durchgeführt werden.

Um eine multiple Sklerose abschließend zu diagnostizieren, sind weitere Tests und Untersuchungen notwendig, die in der Regel einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus notwendig machen. Wichtige Untersuchungen sind unter anderem die Hirnwasserdiagnostik, enzephalographische Verfahren sowie eine Bildgebung des Gehirns.

Das Gehirn wird unter die Lupe genommen

Die Untersuchung des Hirnwassers (Liquordiagnostik) kann entzündliche Veränderungen des Gehirns und Rückenmarks aufzeigen. Bei dieser Untersuchung werden bestimmte Antikörper und Abwehrzellen im Liqour nachgewiesen, die im gesunden Zustand dort nicht zu finden sind, sich im Rahmen verschiedener entzündlicher Erkrankungen des Nervensystems aber dort ansammeln. Erst die Zusammenschau mit weiteren typischen Befunden kann eine MS beweisen.

Dazu zählt unter anderem die EEG-Untersuchung (Elektroenzephalogramm), bei der Reaktionszeiten auf bestimmte Reize gemessen werden können. Beispielsweise wird Ihnen ein optischer oder akustischer Reiz vorgespielt, während Sie am EEG angeschlossen sind. Der Untersucher kann anhand bestimmter Veränderungen im EEG ablesen, wie lange es gedauert hat, bis der gesetzte Reiz Ihr Gehirn erreicht hat. Bei einer MS sind die Reaktionszeiten in der Regel verlängert, da die Nervenleitgeschwindigkeit durch den Abbau der Myelinscheiden herabgesetzt ist.

Einen sehr hohen Stellenwert für die Diagnose der multiplen Sklerose hat weiterhin die Magnetresonanztomographie (MRT). Schon früh können mit dieser Methode entzündliche Herde im Gehirn an typischen Orten erkannt werden, oftmals schon vor dem Auftreten der ersten Symptome.

Behandlung

Eine vollständige Heilung der multiplen Sklerose ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft noch nicht möglich. Dennoch sollte eine Therapie so früh wie möglich begonnen werden, um den chronischen Entzündungsprozess in Gehirn und Rückenmark einzudämmen und die Symptome zu lindern.

Die Behandlung der MS besteht aus verschiedenen Säulen. Neben der medikamentösen Therapie sind supportive und symptomreduzierende Maßnahmen wie Physio- und Ergotherapie, aber auch Logopädie und Psychotherapie von entscheidender Bedeutung für den Krankheitsverlauf.

1. Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Behandlung der MS richtet nach der Verlaufsform, den im Vordergrund stehenden Beschwerden sowie dem Schweregrad der Erkrankung.

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie werden folgende Therapieformen unterschieden:

  • Schubtherapie
  • verlaufsmodifizierende Therapie, die sich zusammensetzt aus Basistherapie und Eskalationstherapie

a) Schubtherapie: kurz und intensiv

Die Schubtherapie wird immer nur kurzfristig zur Eindämmung des akuten Krankheitsschubes eingesetzt. Sie dient im wesentlichen dazu, die Aktivität des Immunsystems zu verringern und so die Symptome zu reduzieren bzw. die Dauer des Schubes zu verkürzen.

Eingesetzt wird in der Regel hochdosiertes Kortison (500-1000 mg/Tag Methylprednisolon (Methylpred®, Metysolon®, M-Predni®) über 3-5 Tage. Bei guter Rückbildung der Symptome kann die Stoßtherapie ausschleichend beendet werden. Bei schlechter Rückbildung sind eine Ausdehnung der Therapie auf 10 Tage sowie eine kurzfristige Dosiserhöhung auf die doppelte Dosis möglich.

Anders als bei der langfristigen Anwendung von Kortison entstehen bei der kurzfristigen Gabe deutlich weniger Nebenwirkungen. Es kann jedoch zu Heißhungerattacken, Unruhe, Schlafstörungen und Herzklopfen kommen.

Nicht immer geht der akute Schub durch die Gabe von Glukokortikoiden zufriedenstellend zurück, in manchen Fällen schreiten die Symptome sogar voran. Dann besteht es die Möglichkeit, eine Plasmapherese durchzuführen. Bei dieser Methode wird das Blut in seine flüssigen (Plasma) und festen Bestandteile getrennt. Das Plasma wird gegen eine Ersatzlösung ausgetauscht, die festen Bestandteile werden dem Körper zurückgeführt. Ziel dieser Methode ist es, Antikörper aus dem Blut zu filtern und die Entzündungsaktivität zu reduzieren.

b) Verlaufsmodifizierende Therapie

Die verlaufsmodifizierende Therapie ist eine dauerhaft durchgeführte Medikation, die das Fortschreiten der MS verlangsamen und die Lebensqualität erhalten soll. Je nach Schweregrad, Verlaufsform und Stadium der Erkrankung wird zwischen einer Basistherapie, die bei leichter bis mäßiger Krankheitsaktivität zum Einsatz kommt, und einer Eskalationstherapie bei hochaktiver MS unterschieden.

Basistherapie: meist als Spritze

Zur Behandlung leichter und mittelschwerer Verlaufsformen kommen bevorzugt folgende Medikamente zum Einsatz:

Interferon-beta: alle paar Tage in den Bauch

Mittel der ersten Wahl zur Basistherapie der multiplen Sklerose ist Interferon-beta (IFN-β). IFN-β wirkt immunmodulatorisch. Das bedeutet, dass das Medikament die Bildung bestimmter Entzündungsbotenstoffe reguliert und so Einfluss auf das Immunsystem nehmen kann.

IFN-β muss ins Unterhautfettgewebe gespritzt werden, da es bei oraler Anwendung nicht an seinen Wirkungsort gelangen würde. Mit etwas Übung können Sie sich das Mittel leicht selbstständig alle zwei bis drei Tage spritzen.

Die Liste an Nebenwirkungen, die unter IFN-β auftreten können, ist lang. Besonders zu Beginn der Behandlung kann es zu grippalen Beschwerden wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen oder Müdigkeit und Abgeschlagenheit kommen. Die Einstichstelle, an der das Medikament ins Unterhautfettgewebe gespritzt wurde, kann besonders nach den ersten Gaben anschwellen oder sich röten. Die Nebenwirkungen nehmen in der Regel aber über die Zeit ab, sodass sich die Vorteile des Medikamentes stärker in den Vordergrund stellen.

Glatirameracetet: Nebenwirkungen seltener, aber schwerer

Eine Alternative zu IFN-β ist der Wirkstoff Glatirameracetat, der auch als Mittel der ersten Wahl zu Behandlung der MS angesehen wird. Glatirameracetat muss täglich ins Unterhautfettgewebe gespritzt werden.

Der genaue Wirkmechanismus dieses Medikamentes ist bisher noch nicht vollständig verstanden. Man geht jedoch davon aus, dass das Immunsystem "abgelenkt" wird und sich mehr auf die Eliminierung des Medikamentes als auf die Zerstörung der Myelinscheiden konzentriert.

Anders als IFN-β ist Glatirameracetat in der Regel von Beginn an gut verträglich. In manchen Fällen kommt es aber auch hier zu Nebenwirkungen, die oftmals schwer ausfallen. Neben Atemnot, Angst- und Beklemmungsgefühlen treten auch Herzrasen und Schweißausbrüche auf, die oftmals nach wenigen Minuten wieder verschwinden.

Alternative in Tablettenform

Dimethylfumarat ist ein Immunmodulator, der antientzündliche Wirkung besitzt und einen schützenden Effekt auf die Nervenzellen ausübt. Vorteil des Medikamentes gegenüber den beiden oben genannten ist, dass es als Tablette eingenommen werden kann und nicht gespritzt werden muss.

Besonders zu Beginn kann Dimethylfumarat jedoch zu Magen-Darm-Beschwerden sowie zu allergischen Reaktionen der Haut führen. Diese Nebenwirkungen geben sich meistens mit der Zeit. Dimethylfumarat besitzt jedoch eine besonders gefürchtete Nebenwirkung: die sogenannte progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), bei der es zu schweren Einschränkungen von Sensibilität, Muskelkraft und Kognition kommen kann.

Da das Immunsystem unter einer Therapie mit Dimethylfumarat stark eingeschränkt wird, sollten alle vier bis acht Wochen Blutbildkontrollen durchgeführt werden.

Eskalationstherapie bei schweren Verläufen

Eine hochaktive Form der multiplen Sklerose erfordert ein intensiveres Therapieschema mit anderen immunmodulierenden Medikamenten. Eine MS wird dann als hochaktiv eingestuft, wenn sich durch die Basistherapie die Anzahl an Schüben nicht reduzieren lässt bzw. die Erkrankung sich noch verschlimmert. Auch eine von Beginn an schwer verlaufende MS-Form kann als hochaktiv eingeschätzt werden.

Folgende Medikamente werden bevorzugt eingesetzt:

Ein Antikörper gegen die Entzündung

Alemtuzumab wird, neben Fingolimod und Natalizumab, als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der hochaktiven MS eingesetzt. Alemtuzumab ist ein künstlich hergestellter Antikörper, der sich gegen die krankheitsverursachenden Immunzellen richtet. Tritt der Antikörper in Kontakt mit diesen Zellen, bindet er sie und macht sie so unschädlich, was die Symptome der MS deutlich reduziert.

Die Nebenwirkungen umfassen:

  • grippeähnliche Beschwerden
  • Veränderungen des Blutbildes
  • allergische Reaktionen
  • Anstieg der Leberwerte

Variante als Kapsel

Fingolimod hat einen ähnlichen Wirkmechanismus. Das Medikament hindert krankheitsauslösende Zellen daran, ins Gehirn einzudringen und die Nervenzellen zu zerstören. Dadurch werden weniger Myelinscheiden abgebaut, und die Zellfunktion bleibt länger erhalten. Fingolimod kann, anders als Alemtuzumab, das gespritzt werden muss, als Kapsel eingenommen werden. Nebenwirkungen können in großer Zahl auftreten, was ein deutlicher Nachteil des Medikaments ist.

Typisch sind:

  • Magen-Darm-Probleme
  • Herzrhythmusstörungen
  • eine Verlangsamung des Herzschlages (Bradykardie)
  • depressive Verstimmungen
  • Sehstörungen

Natalizumab muss der Arzt spritzen

Natalizumab ist ein weiterer Antikörper, der zur Behandlung der hochaktiven MS zugelassen ist. Auch er verhindert ein Eindringen der krankheitsauslösenden Zellen aus dem Blut ins Gehirn und damit schwere Entzündungsreaktionen. Natalizumab muss alle vier Wochen direkt über die Vene ins Blut gegeben werden.

Ein Vorteil ist, dass Nebenwirkungen eher selten auftreten. Hin und wieder kommt es zu Kopfschmerzen, Harnwegs- oder leichten Atemwegsinfektionen sowie zu Gelenkschmerzen. Ein Nachteil ist, dass Natalizumab bei langer Anwendung zu der gefürchteten Nebenwirkung progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) führen kann. Dabei handelt es sich um eine wiederaufflammende Virusinfektion, die zu schweren Schäden am Nervensystem führen kann und mit Muskelschwäche und Sensibilitätsstörungen einhergeht.

Nur als Reserve: Mitoxantron

Mitoxantron ist ein stark immunsupprimierendes Medikament, das auch in der Krebstherapie eingesetzt wird. Bei der MS ist es aggressiven Formen vorbehalten, wenn andere Medikamente keine ausreichende Wirkung gezeigt haben. Wenn die Erkrankung schnell voranschreitet und sich die Schübe häufen, kann eine Behandlung im Einzelfall erwogen werden.

Zu beachten sich jedoch die erheblichen Nebenwirkungen, die unter Mitoxantron auftreten können. So kann es etwa das Herz schädigen und in seltenen Fällen eine akute Leukämie und womöglich auch andere Krebserkrankungen auslösen. Da das Medikament darüber hinaus dem Erbgut schaden kann, ist während der Behandlung auf eine konsequente Empfängnisverhütung zu achten. Beschrieben sind außerdem Fälle, in denen Betroffene durch die Behandlung unfruchtbar wurden. Über diese gravierenden Nebenwirkungen muss vor der Therapie umgehend aufgeklärt werden.

Ein weiteres Problem bei der Behandlung mit Mitoxantron ist seine begrenzte Einsetzbarkeit. Es gibt vorgeschriebene Höchstmengen, die bei einer Person nicht überschritten werden dürfen. Wenn die zugelassene Menge erreicht ist, muss die Behandlung abgebrochen werden. So kann sie durchschnittlich nur über zwei bis drei Jahre erfolgen, was gerade bei chronischen Verläufen oft unzureichend ist.

2. Supportive Therapie

Je nach dem, welche Beschwerden im Vordergrund der Behandlung stehen, müssen noch weitere Medikamente eingesetzt werden. So lassen sich beispielsweise Symptome wie Tremor, Missempfindungen an Armen und Beinen, Blasenentleerungsstörungen und Störungen der Sexualfunktion gut medikamentös behandeln.

Wichtig ist, dass Sie alle Beschwerden benennen und besonders die, die Sie in Ihrer Lebensqualität am meisten beeinträchtigen, frühzeitig abklären und behandeln.

Allgemeinmaßnahmen

Obgleich eine MS-Therapie ohne Medikamente nicht funktioniert, sollten Allgemeinmaßnahmen zur Behandlung der MS nicht fehlen. Denn einmal zerstörtes Nervengewebe kann sich nicht regenerieren, sodass nur durch Training verlorengegangene Körperfunktionen kompensiert werden können.

Ergo- und Physiotherapie können Ihnen dabei helfen, Ihre Beweglichkeit, Ausdauer und feinmotorischen Fähigkeiten lange zu erhalten. Weiterhin kann der frühzeitige Umgang mit Hilfsmitteln erlernt werden. Die Logopädie zielt darauf ab, die Kommunikation zu trainieren, Sprache und Ausdrucksfähigkeit zu erhalten.

Alternative Heilverfahren wie Akupunktur und Homöopathie können sich bei der Behandlung der MS als durchaus nützlich erweisen, ersetzten aber in keinem Falle eine medikamentöse Therapie.

Die Psyche nicht vergessen

Eine psychologische Begleitung durch die Erkrankung und Therapie ist in jedem Falle sinnvoll. Durch ein Leben mit multipler Sklerose treten Fragen auf, die Sie sich vorher nicht stellen mussten und die sehr belastend sein können. Mit einem geschulten Therapeuten an Ihrer Seite können Sie Ihre Lebensziele leichter neu ordnen und sich mit der erdrückenden Krankheitslast auseinandersetzen.

Prognose

Die multiple Sklerose ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung, die sich individuell jedoch sehr unterschiedlich äußert. Daher kann der Verlauf im Einzelfall nur schwer vorausgesagt werden. Es gibt jedoch gewisse Faktoren, die sich auf den weiteren Verlauf auswirken. Mit einer günstigen Prognose assoziiert sind:

  • ein junges Erkrankungsalter (unter dem 35. Lebensjahr)
  • nur ein Symptom bzw. nur sensible Symptome
  • kurze Schubdauer
  • vollständige Rückbildung des Schubes
  • lange erhaltene Gehfähigkeit

Die Erkrankung kann zu einer frühzeitigen Berentung und zur Pflegebedürftigkeit führen. Es gibt allerdings auch viele Menschen mit MS, die auch nach einem langen Krankheitsverlauf aktiv und wenig beeinträchtigt sind. Allgemein hat die MS eine weitaus bessere Prognose als generell angenommen. Studien konnten zeigen, dass nach einer mittleren Krankheitsdauer von 15-17 Jahren noch knapp die Hälfte aller an MS erkrankten Menschen voll berufstätig ist bzw. sich uneingeschränkt selbst versorgen kann.

Quellen:

  • R.M. Schmidt et al.; Multiple Sklerose, Urban & Fischer, 2015.
  • K. F. Masuhr et. al.: Duale Reihe Neurologie, Thieme Verlag, 2013.
  • EU-Leitlinie zur Pharmakotherapie der Multiplen Sklerose, online unter https://onlinelibrary.wiley.com (zuletzt aufgerufen am 4. September 2019).

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